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Wie eine
einzigartige Zeitung gegen gängige Klischees anschreibt Mehr als Kopftuch und Döner Die Probleme des kleinen deutsch-türkischen
Wochenblattes „Perşembe“, das ein Gegengewicht zur traditionellen türkischen
Presse sein möchte Von
Ralf Husemann Die Adresse versprüht nicht eben
Optimismus: Kreuzberg, Charlottenstraße – eine Sackgasse, die jetzt
wenigstens nur noch an einem Blumenmarkt endet. Früher stand unweit die
Mauer, vor der, gleich in der Nähe, Springer bewusst provokativ sein
Verlagshaus hingeklotzt hatte. Mutig nennt sich eine Firma „Vision“. Nebenan
macht gerade ein „Stuhlcenter“ dicht. Und hinter einer breiten Glasfront
scheint soeben ein Laden ausgeräumt zu werden. In Hemdsärmeln sitzt ein
rundlicher, lebhafter Mittvierziger an einem anscheinend noch übrig
gebliebenen Schreibtisch: Mal telefoniert er, dann rennt er wieder in den
Nachbarraum, wo eine Gruppe junger Leute unter viel Zigarettenqualm
miteinander heftig diskutiert. Hier sind wir richtig. In der Leere, die nur von ein paar
Computertischen unterbrochen wird, sitzt die Redaktion von Perşembe, der
einzigen „Deutsch-Türkischen Wochenzeitung“ der Republik. Perşembe ist
das türkische Wort für Donnerstag. Das kann man auch schräg gegenüber an der
Tür des breit ausladenden Arbeitsamtes lesen – bei den Öffnungszeiten.
Schließlich ist in Kreuzberg jeder Dritte ein Ausländer, und von denen kommen
die allermeisten aus der Türkei. Der freundliche Besitzer der Immobilie hat
der Zeitung unlängst großzügig sehr viel größere Räume überlassen – zum
selben Mietpreis, wie Alper Öktem, der hier beständig hin- und herflitzende
Herausgeber verrät. Seitdem verliert sich das kleine Team auf 120
Quadratmetern, für die kein Geld da ist, sie vernünftig einzurichten. Doch Perşembe hat einen hohen
Anspruch. Die Zeitung ist angetreten, Vorurteile abzubauen und Tabus
aufzubrechen. Vor allem letzteres. Da werden immer wieder heiße Eisen
angepackt – im bewussten Gegensatz zu den großen türkischen Tageszeitungen,
in denen selten ein kritisches Wort über das meist chauvinistisch gepriesene
Heimatland steht: In Perşembe liest man über den latenten
Antisemitismus in der offiziell israel-freundlichen Türkei, über die blutig
niedergeschlagene Gefängnisrevolte, die Kurden-Frage oder den in den
türkischen Medien geleugneten Massenmord an den Armeniern während des Ersten
Weltkriegs. Gerade in den letzten Wochen könnte der
unvorbereitete Leser der knallbunten türkischen Blätter meinen, es bestünde
ein Krieg der Türkei mit Frankreich bevor. „Wieder eine französische
Unverschämtheit“, donnert Sabah (Morgen) auf der Titelseite, während Hürriyet
(Freiheit) unter einem abschreckenden Konterfei von Jacques Chirac dem
französischen Präsidenten balkendick vorwirft, er habe die Freundschaft der
beiden Nationen zerstört. Der Grund für die hysterische Empörung ist ein
französisches Gesetz, das den historisch ausreichend belegten Genozid an den
Armeniern als Völkermord einstuft. In der Türkei wird dagegen allenfalls von
einem „so genannten Massaker“ gesprochen, an dem im wesentlichen die Armenier
selbst schuld gewesen seien. Die türkischen Zeitungen werden fast
ausschließlich in der Türkei geschrieben und produziert – auch die so
genannten Europa-Ausgaben, die hierzulande verkauft werden und sich nur in
wenigen Seiten vom Originalprodukt unterscheiden. Hürriyet, das
bekannteste Blatt, hat Anfang letzten Jahres seine letzten Redakteure
in Deutschland entlassen und lässt die Artikel nur noch von
Agentur-Journalisten aus dem eigenen Pressekonzern und vor allem von freien
Mitarbeitern schreiben. Auch für Perşembe ist das Wort
„Redaktion“ etwas hoch gegriffen. Sie besteht aus einer Handvoll Leuten, von
denen nur Claudia Dantschke fest angestellt ist. Die 37-Jährige hat sich in
Berlin (zusammen mit Ali Yildirim) einen gewissen Namen mit Aypa-TV gemacht,
dem laut Guinness-Buch kleinsten Fernsehsender der Welt. Ende Februar könnte
der Sender („Prinzipien: Toleranz, Laizismus, Objektivität“), der eine Stunde
täglich im Berliner Kabelnetz auf dem „Spreekanal“ zu sehen war, sein
achtjähriges Jubiläum feiern. Könnte – denn erst einmal ist Aypa das Geld
ausgegangen. Und so herrscht vorläufig dort Funkstille. Eine Gelegenheit für
die quirlige gebürtige Leipzigerin Dantschke, ein neues Wirkungsfeld zu
finden. Die studierte Arabistin, zu DDR-Zeiten Fremdsprachen-Redakteurin bei ADN,
hat sich auf die neue Zeit eingestellt und inzwischen auch noch ihren
„Marketing-Fachwirt“ gemacht. Wenn Claudia Dantschke redet, müssen die
anderen den Moment gut abpassen, auch zu Worte zu kommen. Doch das scheint
sich inzwischen eingespielt zu haben. Die anderen, das ist die 34-jährige
gebürtige Kurdin Semiran Kaya, eine freie Journalistin aus Köln, die sonst
vor allem für den WDR arbeitet, der 26-jährige Berliner („besser
Schöneberger“) aserbaidschanischer Abkunft Süleyman Artiis¸ik, der dabei ist,
seine Diplomarbeit über Einwanderungspolitik in Deutschland zu schreiben, und
schließlich die 24-jährige Politik- und Soziologiestudentin Onur Kömürcü.
Später wird noch Mutlu Ergün dazustoßen, ein 22-Jähriger, der in Potsdam
Erziehungswissenschaften studiert und eine Hip-Hop-Band („Die schwarze Hand“)
hat. Gesprochen wird fast ausschließlich deutsch. Perşembe ist nicht nur wegen der bunten ethnischen
Herkunft ihrer Macher eine Zeitung der besonderen Art. Erst im September auf
den Markt gekommen, kämpft sie bereits ums Überleben. Ohnehin kann sie nur
existieren, weil sie quasi huckepack an jedem Donnerstag (deshalb der Name)
der tageszeitung (taz) beigelegt wird. Nun geht es aber schon
dem Mutterblatt nicht gerade rosig, weshalb in immer neuen Aktionen ausgerechnet
der treue Abonnent stellvertretend für die taz-verschmähende
Restbevölkerung immer mal wieder originell bestraft wird: mit fehlenden
Überschriften, einer Klatsch- oder auch einer Pin-up-Ausgabe („Titten-taz“).
Mit Perşembe – und nicht zuletzt ihrer
wirklich witzigen Comicfigur „Kanakmän“ – hoffte die taz zumindest
einen Teil der türkischen Gemeinde (2,3 Millionen in Deutschland, davon
allein etwa 200 000 in Berlin) ansprechen und so die Gesamtauflage etwas
puschen zu können. Doch das Ergebnis ist bislang enttäuschend. Nur etwa 1000
zusätzliche Leser werden der deutsch-türkischen Beilage zugerechnet. Immerhin
hat die jüngste Auflagen-Stemmaktion der taz ein Plus von fast 7000
Abos gebracht (auf jetzt knapp 49 000, mit Einzelverkauf etwa
60 000). Doch gleichzeitig geht Perşembe die Luft aus. Seit dem
21. Dezember erscheint das Blättchen statt mit acht nur mehr mit vier
Seiten. Nachdem sowohl Anzeigen wie Abonnenten weitgehend ausblieben, die
auch nur für zehn Mark im Monat allein die Donnerstags-taz haben
wollten (vorerst nicht mehr als 100), klagte die Redaktion in einem
Leitartikel in eigener Sache: Der „so oft formulierte Wunsch nach einem
Medium, das nicht heimatorientiert, sondern deutschlandbezogen ist, scheint
nicht ernst gemeint zu sein“. 15 Ausgaben vorher klang alles noch ganz
anders. Unter einem frechen Aufmacher-Foto, auf dem eine junge Türkin dem
Leser die Zunge herausstreckt, heißt es keck zur Premiere „Wir können auch
anders“. Und (auf Deutsch und Türkisch): „Wir haben es satt, die Opferrolle
für euch zu spielen. Ihr verlangt von uns ,Integration‘, ,Eingliederung‘.
Niemand fragt, ob uns der Körper gefällt, in welchen wir uns integrieren
sollen. Wir wollen den Körper verändern. “ Nicht nur die Tonart hat sich
gewaltig verändert. Auch der Ansprechpartner. Die unklare Adresse – mal ist
der deutsche, dann wieder der türkische Leser gemeint – ist ein Grundproblem
der kleinen Zeitung. „Wir sind ein Gegengewicht zur
traditionellen türkischen Presse. Wir bieten Einblicke in eine Welt, die mehr
ist als Kopftuch und Döner. “ Das sagt etwas vollmundig Perşembe.
Immerhin könnte die Zeitung dank der Vertriebskooperation mit der taz
theoretisch so viele Leser erreichen wie die großen türkischen Zeitungen. Vor
allem nach der Rechnung des Herausgebers Alper Öktem, der davon ausgeht, dass
auf ein Exemplar fünf bis sieben türkische Leser kommen. Öktem, eigentlich Radiologe, ist 1978
nach Deutschland gekommen. Mit Rücksicht auf seine Frau Angelika Claußen, der
deutschen Vorsitzenden der „Ärzte für den Frieden und für soziale
Verantwortung“, früher „gegen den Atomkrieg“ (IPPNW), und seine beiden, 16
und 19 Jahre alten Kinder, ist Öktem vor drei Jahren aus einer
Gemeinschaftspraxis ausgestiegen und seitdem „Hausmann“. Theoretisch, denn
jede Woche pendelt er von Bielefeld zu den Redaktionssitzungen für zwei Tage
nach Berlin. Ihren Kindern hat das Paar im übrigen die völkerverbindenden
Namen Rosa Baris¸ und Kerem Gabriel gegeben. Die übermächtige Konkurrenz scheint
inzwischen ob der ungewohnten Perşembe-Töne ein bisschen verunsichert
zu sein. Öktem ist darüber gleichermaßen empört wie stolz. In einem
Leserbrief an Hürriyet (Gesamtauflage 800 000, in Deutschland
54 000), der in Stil und Inhalt „verblüffende Ähnlichkeit mit den täglichen
Ergüssen des Chefkolumnisten“ (Öktem) habe, wurde behauptet die grüne
Heinrich-Böll-Stiftung sei Ziehvater und Finanzier von Perşembe. Und
die kleine Wochenzeitung Aydinlik (Klarheit), die es fertig bringt,
zugleich maoistisch und nationalistisch zu sein, setzte noch eins drauf und
schrieb, das deutsche Außenministerium sponsere Perşembe mit jährlich
fünf Millionen Mark. Alper Öktem ist tatsächlich Mitglied bei den Grünen,
legt aber Wert darauf, sich trotz der arg ins Straucheln gekommenen Zeitung keinesfalls
finanziell abhängig machen zu wollen. Warum tut er sich das Ganze überhaupt
an? „Ich bin verrückt“, sagt er und sieht einen Moment ganz glücklich aus. Bildunterschrift: Fotos: Marco Limberg/X-press/Bonn-sequenz/ SZ
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